Zur Förderung des Fortschritts in der Luft- und Raumfahrt – die Geschichte der DGLR

Die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt – Lilienthal-Oberth e.V. ist heute weltweit die zweitälteste technisch-wissenschaftliche Vereinigung auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrt. Sie begleitete und unterstützte die Entwicklung der Luft- und Raumfahrt in den letzten 104 Jahren. Zu ihren Mitgliedern zählten unter vielen anderen der Physiker Ludwig Prandtl, der Ingenieur und Unternehmer Hugo Junkers sowie der erste deutsche Astronaut Sigmund Jähn. Sie alle nutzten das Netzwerk der Gesellschaft, um ihre Ideen vorzustellen und zu diskutieren und trugen so in großem Maße zum Fortschritt in der Luft- und Raumfahrt bei.

Die aufkommende Luftfahrt, die mit Otto Lilienthal Ende des 19. Jahrhunderts offiziell ihren Anfang nahm, war zunächst Thema der 1898 gegründeten Göttinger Vereinigung zur Förderung der Angewandten Physik und Mathematik. Das Thema und dessen Relevanz wuchsen über die nächsten Jahre schnell und führten 1906 zur Gründung der Motorluftschiff-Studiengesellschaft. Daran hatte sich auch die Göttinger Vereinigung beteiligt, die 1911 einen „Flugwissenschaftlichen Kongreß“ veranstaltete. Bei der Veranstaltung, die vom 3. bis 5. November in Göttingen stattfand, ergab sich die Frage, ob es sinnvoll sei, eine neue Institution zu schaffen, die sich mit dem neuen Forschungsgebiet „Luftfahrt“ auseinander setzt. Aus diesem Grund stellte Prof. Johann Schütte von der Technischen Hochschule Danzig den Antrag, eine gemeinsame Institution für dieses Thema in Form eines Vereins zu schaffen.

Gründung der WGF

So lud die Göttinger Vereinigung schließlich am 3. April 1912 zur Gründungsversammlung eines solchen Vereins nach Berlin ein. Die Versammlung fand unter dem Vorsitz des Prinzen Heinrich von Preußen statt und einigte sich nach einigen Überlegungen (Heinrich: „Wir gehen aus diesem Lokal heute nicht heraus, bis das Kind getauft ist.“) auf den Namen Wissenschaftliche Gesellschaft für Flugtechnik (WGF). Einer der Teilnehmer der Versammlung war der Physiker und später als Vater der Aerodynamik bekannte Ludwig Prandtl. Von ihm stammten die ersten Vorschläge zur Satzung der Gesellschaft:

„Zweck der Gesellschaft ist der Zusammenschluß von Fachmännern der Luftfahrttechnik und Luftfahrtwissenschaft und anderen mit dem Luftfahrtwesen in Beziehung stehenden Kreisen, mit dem Zwecke, die Technik des Luftfahrzeugbaues und -betriebes zu fördern.

Mittel zur Erreichung dieses Zieles sind:

  • Versammlungen, in denen Vorträge gehalten und Fachangelegenheiten besprochen werden.
  • Drucklegung und Übersendung der Vorträge und Besprechungen an die Gesellschaftsmitglieder.
  • Stellung von Aufgaben und Anregung von Versuchen zur Klärung wichtiger luftfahrttechnischer Fragen.
  • Drucklegung von Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Luftfahrttechnik und Wissenschaft.“

Insgesamt nahmen 120 Interessenten an dieser ersten Versammlung teil.

Bereits am nächsten Tag trafen sich 24 Mitglieder der neu gegründeten Gesellschaft zu einer wissenschaftlichen Sitzung. Dieser Arbeitsausschuss wählte die Mitglieder des Gesamtvorstandes: Dr. Johann Friedrich von Böttinger, Prof. Dr. August von Parseval und Prof. Dr. Ludwig Prandtl. Die Geschäftsstelle wurde in Berlin im kaiserlichen Aero-Club eingerichtet. Zwei Monate später, am 14. Juli 1912, wurden die ersten Unterausschüsse, die heutigen Fachbereiche, festgelegt. Sie sollten jeweils unter einem Vorsitz selbständig arbeiten und befassten sich mit Themen wie der Beurteilung von Erfindungen, Literaturauskünften, Aerodynamik, Motoren oder Medizin.

Die erste Hauptversammlung fand am 25. und 26. November 1912 in Frankfurt am Main statt. Im ersten halben Jahr seit der Gründung war die Zahl der Mitglieder auf 310 gestiegen. Auf der Versammlung wurde die „Zeitschrift für Flugtechnik und Motorluftschiffahrt (ZFM)“ zum offiziellen Organ der Gesellschaft bestimmt. An der dritten Hauptversammlung am 27. und 28. April 1914 in Dresden nahm auch der König von Sachsen teil. Seine Teilnahme zeigte, zu welchem Ansehen und zu welcher Bedeutung die WGF alleine in den ersten zwei Jahren ihres Wirkens gelangt war.

Erweiterung zur WGL

Aufgrund der Erweiterung der Unterausschüsse wurde die WGF noch im selben Jahr in Wissenschaftliche Gesellschaft für Luftfahrt (WGL) umbenannt. Der Krieg verhinderte jedoch die nächsten Versammlungen. Die Arbeiten der Gesellschaft wurden vollständig niedergelegt. Aus Rücksicht sollten keine nutzbringenden Anwendungen der wissenschaftlichen und technischen Erfahrungen aus dem Kampfgeschehen gewonnen und veröffentlicht werden. Nach Kriegsende nahmen insbesondere die Ausschüsse ihre Arbeit wieder auf. Die WGL hatte im Krieg viele Mitglieder verloren. Ab 1918 fand die erste Hauptversammlung nach dem Krieg in Hamburg statt. Die Vorträge befassten sich insbesondere mit den Erfahrungen aus dem Krieg und mit den auf vielen Gebieten zu treffenden Neuordnungen.

Die nächsten Jahre waren Jahre ruhiger Entwicklung und erfolgreicher Arbeit. 1928 erhielt Ludwig Prandtl als erster die vom damaligen Vorsitzenden Johann Schütte gestiftete Otto-Lilienthal-Medaille für seine Leistungen auf dem Gebiet der Luftfahrt. Die Mitgliederzahl stieg bis 1929 auf 865.

Bereits seit mehreren Jahren hatten die Mitglieder an der Errichtung einer Lilienthal-Gedächtnisstätte in Berlin Lichterfelde gearbeitet. Am 10. August 1932 wurde sie im Rahmen einer Veranstaltung eingeweiht, die allen Teilnehmern als ein Höhepunkt in der Geschichte der WGL in Erinnerung blieb. Die Zeitschrift ZFM wurde 1933 eingestellt und durch die ab 1934 erscheinende „Luftwissen“ abgelöst.

Zusammenschluss zur Lilienthal-Gesellschaft

1935 und 1936 fanden Verhandlungen zwischen der WGL und dem Reichsministerium statt, um beide zu einer neuen luftfahrtwissenschaftlichen Gesellschaft zusammenzuschließen. So entstand die Lilienthal-Gesellschaft für Luftfahrtforschung (kurz: Lilienthal-Gesellschaft). Die WGL wurde daraufhin durch die Mitglieder auf Anraten des Vorstands aufgelöst. Ob die WGL diese Auflösung tatsächlich guthieß, ist nicht klar. Zu dem Thema finden sich widersprüchliche Unterlagen. Die neue Gesellschaft widmete sich weiterhin wissenschaftlich-technischen und organisatorischen Aufgaben und gewann innerhalb kurzer Zeit gute Beziehungen zu entsprechenden Einrichtungen im Ausland. Zu Forschungszwecken soll auch die Lilienthal-Gesellschaft in den Kriegsjahren Versuche am Menschen durchgeführt haben. Von 1945 bis 1952, nach Kriegsende, war jegliche Betätigung in der Luftfahrt in Deutschland verboten.

Neugründung der WGL in Braunschweig

1952 wurde die WGL anlässlich ihres 40. Geburtstags und durch die Initiative einiger Luftfahrtwissenschaftler wieder ins Leben gerufen. Von den 150 angemeldeten ordentlichen Mitgliedern waren rund 100 bei der Mitgliederversammlung am 21. April 1952 in der Technischen Hochschule Braunschweig anwesend. Die WGL hatte das Ziel, möglichst schnell wieder zu ihrer alten Stellung in der Luftfahrt und in der Wissenschaft zu gelangen. Dazu sollten nicht nur die ordentlichen, also die persönlichen Mitglieder beitragen, sondern auch außerordentliche wie Behörden und Firmen, die geldliche Unterstützung liefern sollten.

Ab Januar 1953 richtete die WGL ihre Geschäftsstelle in Braunschweig ein. Eine neu geschaffene Monatszeitschrift mit dem Titel „Zeitschrift für Flugwissenschaften“ (ZFW) sollte die Tradition der ZFM fortsetzen und über aktuelle Themen aus der Luftfahrtforschung berichten. Ein besonderes Anliegen der WGL war der Nachwuchs. Durch den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen waren auf dem Gebiet der Luftfahrtforschung große Lücken zurückgeblieben, die es nun zu schließen galt. So richtete die WGL zum einen den „Otto-Lilienthal-Preis“ ein, um Abiturienten das Luftfahrtstudium zu ermöglichen. Zum anderen gab es ab 1953 den „Ludwig-Prandtl-Preis“, um den Flugmodellbau im Physikunterricht deutscher Schulen zu fördern. 1953 stieg die Anzahl der Mitglieder von etwa 200 auf 638, 1954 konnte sich die Zahl noch einmal auf 985 erhöhen. Die Jahrestagungen fanden ab 1952 wieder regelmäßig in verschiedenen Städten statt. Sie bildeten den jährlichen Höhepunkt im Leben der Gesellschaft. 1957 wurde die Jahrestagung in Essen von mehr als 1.000 Teilnehmern besucht.

1955 richtete die WGL neben der Geschäftsstelle in Braunschweig noch drei weitere Standorte ein: Köln, Stuttgart und München. Zwei Jahre später, am 4. Februar 1957, veranstaltete die WGL die erste Ludwig-Prandtl-Gedächtnisvorlesung und ehrte den Luftfahrt- und Raketenforscher Theodore von Kármán erstmals mit dem Ludwig-Prandtl-Ring, der fortan die höchste Auszeichnung der Gesellschaft darstellen sollte.

Die WGL wird zur WGLR

Das Jahr 1960 brachte entscheidende Änderungen mit sich. Zum einen zog die Geschäftsstelle offiziell von Braunschweig nach Köln, zum anderen fasste die WGL den Beschluss, sich fortan auch mit den modernen Problemen der Flugtechnik, nämlich der Raumfahrttechnik, zu beschäftigen. Aus dieser Entscheidung entstand die Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Raketentechnik und Raumfahrt (DGRR) und der Deutschen Raketengesellschaft (DGR), die später zur Hermann-Oberth-Gesellschaft (HOG) umbenannt wurde.

Aufgrund der näheren Beschäftigung mit der Raumfahrt wurde noch im selben Jahr ein Antrag auf eine Namensänderung der WGL diskutiert, jedoch zunächst zurückgestellt. Erst 1962 wurde die WGL schließlich in Wissenschaftliche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (WGLR) umbenannt. 1963 zeigte sich das Interesse an der erneuerten Gesellschaft. Zusammen mit der DGRR, der HOG und dem VDI veranstaltete die WGLR in dem Jahr ’69 Sprechabende in 19 Städten mit 8.800 Personen.

Zusammenschluss zur DGLR

Seit 1960 fand zwischen der DGRR und der WGL / WGLR bei vielen Veranstaltungen eine enge Zusammenarbeit statt. So entstanden erste Überlegungen, die beiden Gesellschaften zu einer zusammen zu führen. 1967 kam es schließlich dazu, dass sich die Mitglieder beider Gesellschaften zur Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) zusammenschlossen. Auch der Entwurf einer entsprechenden neuen Satzung wurde bewilligt.

So wurde die DGLR am 9. Dezember 1967 in Bad Godesberg gegründet. Ab dem 1. Januar 1968 sollte die neue Gesellschaft ihre Arbeit aufnehmen. Im Laufe des Jahres sollten die Mitglieder beider Gesellschaften in die neue überführt werden. Am 31. Dezember 1968 wurde die WGLR schließlich aufgelöst. Durch den Zusammenschluss war die Mitgliederanzahl der neuen DGLR auf über 3.000 Personen gewachsen.

Die erste Jahrestagung der DGLR fand im Dezember 1968 in Bonn statt. Der DGLR-Vorstand beschloss, auch weiterhin die Struktur der Fachausschüsse der WGLR beizubehalten. Dazu kam auch die Übernahme der Struktur von Bezirks- und Studentengruppen aus der ehemaligen DGRR.

Die DGLR hatte über die Jahre gute Beziehungen zu Luft- und Raumfahrtorganisationen im internationalen Raum aufgebaut. So richtete sie zum Beispiel 1970 in Konstanz den XXI. Internationalen Astronautischen Kongress mit mehr als 1.100 Teilnehmern aus. Auch förderte sie durchgehend den wissenschaftlichen Nachwuchs. Sie entsendete Studenten zur IAF-Studentenkonferenz oder stiftete Preise für Studentengruppen – wie zum Beispiel für die Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt (WARR) der Universität München im Jahr 1973, die noch heute eine DGLR-Nachwuchsgruppe ist.

Als Ergänzung zu der seit 1952 erscheinenden Fachzeitschrift „Zeitschrift für Flugwissenschaften und Weltraumforschung“ und als Versuch, auch die Öffentlichkeit über alle Fragen der Luftund Raumfahrt zu informieren, erschienen ab 1980 vier Mal im Jahr die „DGLR-Mitteilungen“. Diese Mitteilungen wurden später in „Luft- und Raumfahrt“ umbenannt und stellen noch heute das Mitgliedermagazin der Gesellschaft dar. 1982 wurde die Geschäftsstelle von Köln nach Bonn-Bad Godesberg verlegt.

Zusammenschluss nach der Wiedervereinigung

Mit dem Ziel, die Stimmen der in der Luftfahrt und der Raumfahrt engagierten Menschen zu einm gemeinsamen Sprachrohr zu vereinen und dadurch ein noch wirkungsvolleres Instrument der Meinungsbildung zu schaffen, trat die DGLR 1990 in Verhandlungen mit der Hermann-Oberth-Gesellschaft (HOG), der Gesellschaft für Weltraumforschung und Raumfahrt (GWR) und dem Fachverband Luftfahrt (FL), um sich zu einer gemeinsamen Gesellschaft zusammen zu schließen. Nach umfangreichen Gesprächen und Abstimmungen wurde der Zusammenschluss am 1. Januar 1993 vollzogen und der neue Name der Vereinigung auf Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt – Lilienthal-Oberth e.V. (DGLR) festgelegt. Damit war es gelungen, die Verbände der ehemaligen BRD und DDR zu vereinen und das Wissen im wissenschaftlich-technischen Bereich der Luft- und Raumfahrt zusammenzuführen. Seitdem symbolisieren die in die offizielle Bezeichnung der Gesellschaft einbezogenen Namen der beiden weltbekannten deutschen Luft- und Raumfahrtpioniere das geschlossene Eintreten und Handeln einer großen Gemeinschaft für alle Bereiche und alle Anliegen der deutschen Luft- und Raumfahrt.

1997 änderte sich die Ausrichtung der Zeitschrift ZFW. Sie wurde internationaler und erschien nun unter dem Titel „Aerospace Science and Technology (AST)“.

2008 begannen erste Überlegungen, für den wissenschaftlichen Nachwuchs ein Portal zu schaffen, in dem er über Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten auf dem Gebiet der Luftund Raumfahrt informieren kann. Aus dieser Idee entstand 2009 die Internetplattform Skyfuture mit der DGLR als Träger und diversen Partnern aus Forschung, Industrie und Politik. Skyfuture bietet einen Überblick über Karrieremöglichkeiten bieten, über Berufsfelder informieren, auf Messen und Aktionen hinweisen und eine Plattform für Praktika und Jobs.

Am 20. Januar 2009 wurde auch der Club der Luftfahrt von Deutschland e.V. in die DGLR aufgenommen. 2012 feierte die DGLR ihr 100-jähriges Jubiläum. Dazu fand am 3. April 2012 in Berlin ein Festakt statt.

Die Luft- und Raumfahrt hat sich seit 1912 enorm weiterentwickelt. Die DGLR hat diese Entwicklungen seitdem begleitet und unterstützt und tut dies auch in Zukunft – indem sie Innovatoren und Entscheider zusammenbringt und den Wissensaustausch fördert.