17.09.2024 - Allgemein, Raumfahrt

Viele Wege führen in die Raumfahrt

„Ich hatte viele Anti-Mentoren“, diesen Satz lässt Dr. Anna Chrobry im Interview fallen. Für Frauen in den Naturwissenschaften eine nachvollziehbare Aussage. Immer noch sind Frauen in MINT-Bereichen unterrepräsentiert – im Studium sowie in Jobs. Seit Jahren wird versucht, das zu verbessern: Initiativen, die bereits Schülerinnen fördern, Mentorenprogramme in Unternehmen bis hin zu eigenen Förderstipendien an Universitäten. Doch die herausstechende Rolle von Frauen im MINT-Bereich ist nicht für jeden etwas. Wie sie mit dieser Aufmerksamkeit im Laufe ihrer Raumfahrtkarrieren umgegangen sind, erzählen Dr. Anna Chrobry und Stephanie Uffelmann im Interview. Sie arbeiten bei Airbus Defence and Space und Ariane-Group in Bremen. Außerdem sprechen sie darüber, was sie sich von Unternehmen wünschen und warum es sinnvoll ist, nicht auf jeden Ratschlag zu hören.


Bild: privat

Viele, die heute in der Raumfahrt arbeiten, hat die Mondlandung 1969 fasziniert und angetrieben, selbst dort zu arbeiten. Sie sind Teil der nachfolgenden Generation: Was hat Sie zur Raumfahrt gebracht?

Dr. Anna Chrobry: Als ich klein war, habe ich ein Buch geschenkt bekommen, in dem ein Junge und ein Mädchen die Welt und das All erkunden. Sie haben eine Rakete gebaut, waren auf dem Mars, sind durch den Weltraum geflogen. Das hat mir gezeigt: Jeder kann das – unabhängig, ob Junge oder Mädchen, Mann oder Frau. Ich habe es für selbstverständlich gehalten, dass ich das auch irgendwann machen kann. Das hat mir früh den Eindruck vermittelt, dass Frauen und Männer gleichermaßen Wissenschaft betreiben können und wie spannend die Raumfahrt ist.

Stephanie Uffelmann: Bei mir ging es nicht ganz so früh los. Mein Vater hat zwar als Ingenieur gearbeitet und ich war in der Schule immer gut in naturwissenschaftlichen Fächern, dennoch hat mich das Gebiet nicht gereizt. Nach dem Abitur habe ich Mathe und Geschichte auf Lehramt studiert und danach auch als Lehrerin gearbeitet. Mit Mitte 20 habe ich mich aber gefragt, ob ich das wirklich bis zur Rente machen möchte. Meine ehrliche Antwort war ‚nein‘. Mein Freund hat zu diesem Zeitpunkt Luft- und Raumfahrttechnik studiert und gleichzeitig war die Raumfahrt medial wieder viel präsenter als früher: Elon Musk hatte für Aufsehen gesorgt und in Europa ging es mit der Ariane 6 voran. Das hat mich dazu bewogen, noch einmal an die Hochschule zu gehen und selbst Luft- und Raumfahrttechnik zu studieren.

Wie war das Geschlechterverhältnis während des Studiums und Ihres Berufseinstiegs?

Dr. Anna Chrobry: Dass es ein Ungleichgewicht gibt, ist kein Geheimnis. Ich habe unter anderem in Polen Physik studiert – mit deutlich mehr Männern als Frauen. Mich persönlich hat es aber nicht gestört, da ich einfach froh war, mich mit dieser Materie beschäftigen zu können. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, dass mir mehr Dinge ermöglicht wurden als meinen männlichen Kommilitonen, etwa als ich ein Auslandssemester machen wollte. Eine Frau, die in Physik promoviert, das war ein gutes Aushängeschild für meine Universität.

Stephanie Uffelmann: Was mir aufgefallen ist, ist die besondere Rolle, die ich automatisch eingenommen haben, weil ich nur mit Männern studiert habe: Du bist die Frau und jeder kennt dich – einfach weil es keine anderen Frauen gibt. An diese herausstechende Position muss man sich gewöhnen. Auch bei einigen Dozenten habe ich eine Skepsis mir gegenüber gespürt, weil ich eine Frau bin. Ich wusste aber, was ich kann und konnte daher damit umgehen. Ich kann jedoch sehr gut verstehen, wenn andere Frauen damit Probleme haben und sich unwohl fühlen. Im Job hat sich das übrigens fortgesetzt. Auch hier sind Frauen in der Unterzahl.

Machen die Luft- und Raumfahrtunternehmen Ihrer Meinung nach genug, um gezielt Frauen anzusprechen?

Stephanie Uffelmann: Das geht sicherlich besser, aber nicht nur bei Frauen, sondern generell bei jungen Leuten. Die Hochschule, an der ich in Bremen studiert habe, ist nur 500 Meter von großen Luft- und Raumfahrtunternehmen entfernt. Trotz dieser Nähe mussten wir als Studierende selbst die Initiative ergreifen und auf die Unternehmen zugehen, um Kontakt zu bekommen. Gleichzeitig hört man von diesen Unternehmen, wie schwer es sei, gute junge Mitarbeitende zu bekommen.

Dr. Anna Chrobry: Was in meinen Augen eine zusätzliche Hürde ist, ist der Nimbus,den große Unternehmen haben. Viele Absolventinnen und Absolventen denken, dass sie eh keine Chancen haben bei einem großen Konzern. Dabei gibt es verschiedene Wege für den Einstieg. Es hilft zum Beispiel ungemein, wenn man während des Studiums dort schon als studentische Hilfskraft arbeitet. Das kann einige Türen öffnen.

Hatten Sie Mentorinnen oder weibliche Vorbilder, die Ihnen beim Berufseinstieg geholfen haben?

Stephanie Uffelmann: Ich würde nicht von Mentorin sprechen, aber ich hatte während meines Studiums einen Nebenjob. Meine Führungskraft war ungefähr so alt wie ich und das hat mich ermutigt und mir gezeigt, wohin mein Weg mich führen kann.

Dr. Anna Chrobry: Ich hatte viele Anti-Mentoren. Das waren in der Regel ältere Männer, die mir unaufgefordert Ratschläge gegeben haben, wie ich was machen soll und wie ich meine Karriere planen soll. Wäre ich heute hier, hätte ich darauf gehört? Ich glaube nicht. Ich selbst engagiere mich nun, damit andere junge Leute nicht in eine ähnliche Situation geraten. Innerhalb der DGLR gibt es ein Mentoring-Programm, das gerade erst gestartet ist. Hier versuche ich, Studierenden und Absolventinnen und Absolventen zu helfen.

Sie beide sind auch Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt: Welche Vorteile bietet eine Mitgliedschaft?

Stephanie Uffelmann: Ich bin seit 2021 Mitglied, da ich einen DGLR-Nachwuchspreis gewonnen habe. Bei der ersten Veranstaltung habe ich direkt Kontakt mit dem Jungen Senat geknüpft und bin dort kurze Zeit später beigetreten. Ich sehe einige Vorteile in der Mitgliedschaft: Die DGLR und auch der Junge Senat organisieren viele Veranstaltungen im Luft- und Raumfahrtbereich, an denen ich sehr gerne teilnehme, wie zum Beispiel Kurse oder Besuche auf Messen. Darüber hinaus konnte ich mich sehr gut auf diesen Veranstaltungen mit anderen Menschen aus der Luft- und Raumfahrt vernetzen. Ich kann es nur allen, die überlegen, empfehlen, Mitglied zu werden und sich, wenn möglich, zu engagieren (beispielsweise im Senat, im Jungen Senat oder beim Mentoring-Programm).

Dr. Anna Chrobry: Die Weiterbildungen sind auch ein wichtiger Pluspunkt der Mitgliedschaft. Ich habe zum Beispiel einen Abschluss in Physik und habe den Grundkurs Satellitentechnik besucht, um mir ein besseres Verständnis für Raumfahrtsysteme anzueignen.

Und was könnte noch speziell für Frauen verbessert werden?

Stephanie Uffelmann: Durch Beiträge wie diesen können wir den Frauen in der Raumfahrt ein Gesicht geben. Dies kann nicht nur Mädchen, sondern auch Frauen dazu motivieren, ein Teil dieser Branchen und auch der DGLR zu werden. Dort könnte weiter angeknüpft werden, um die Sichtbarkeit der Frauen in der Raumfahrt aber auch in der DGLR zu verbessern. Außerdem spielt der Nachwuchs eine wichtige Rolle, weshalb zum Beispiel das Mentoring-Programm vor allem für Mädchen und Frauen besonders wichtig ist. Es braucht natürlich auch weibliche Mentorinnen, um die weibliche Situation in dieser Branche, aber auch der weiblichen Mitglieder in der DGLR zu reflektieren.

Dr. Anna Chrobry: Die DGLR könnte zukünftig mehrere Schritte unternehmen, um die Situation von Frauen in der Raumfahrt zu verbessern. Dazu gehören ein Mentoring- und Networking-Programm speziell für Frauen, die Sichtbarkeit von Role Models und deren Forschungsarbeiten sowie der Einsatz für ein inklusives Arbeitsumfeld innerhalb der Branche und auch die Unterrichtung der Öffentlichkeit zu diesem Thema. Das würde ja dem Motto der DGLR – Informieren, Vernetzen, Fördern – absolut entsprechen.

Sie haben beide in Bremen studiert. Was macht diese Stadt so besonders mit Blick auf Luft- und Raumfahrt?

Stephanie Uffelmann: Leute von außerhalb haben vielleicht manchmal ein falsches Bild von Bremen. Das Bundesland schneidet beim Vergleich der schulischen Bildung zwar immer sehr schlecht ab. Das lässt sich aber nicht auf die Universitäten und Hochschulen übertragen. Die gehören in vielen Bereichen zur Spitze. Und es gibt nur wenige Städte in Deutschland, in denen man Luft- und Raumfahrt sowohl im Bachelor als auch im Master studieren kann. Hinzu kommen die Unternehmen in Bremen und der Umgebung, bei denen man Praktika machen oder als Werkstudent oder Werkstudentin arbeiten kann. Dadurch sticht Bremen heraus.

Dr. Anna Chrobry: Da hört es aber nicht auf: In Bremen gibt es nahezu das gesamte Ökosystem der Raumfahrt. Schon während des Studiums kannst du forschen oder du baust Satelliten, das ORION-ESM oder die Ariane 6. So viele Möglichkeiten an einem Ort zu haben, ist wirklich fantastisch.

Gibt es ein großes Netzwerk?

Stephanie Uffelmann: Auf jeden Fall! Da Bremen vergleichsweise klein ist, läuft man sich zwangsweise über den Weg. Allein, dass jedes Jahr die Space Tech Expo in Bremen stattfindet, ist toll. Hier kommen die wichtigen Unternehmen, Institute und Raumfahrtagenturen aus der ganzen Welt zusammen. Wo hat man das schon?

Dr. Anna Chrobry: Natürlich muss man auch offen dafür sein, Kontakte zu knüpfen. Das heißt aber nicht, dass man mit älteren Herren Tennis spielen muss, um dazuzugehören. Im Gegenteil: Das Netzwerk in Bremen ist sehr offen, es gibt lokale Veranstaltungen und Ortsgruppen, bei denen man auf spannende Leute trifft – beispielsweise die Yuri’s Night, die ich organisiere.

Frau Uffelmann, für den 9. Juli ist der Jungfernflug der Ariane 6 geplant. Was bedeutet dieser Meilenstein für Sie?

Stephanie Uffelmann: Wenn ich an den Jungfernflug der Ariane 6 denke, bekomme ich Gänsehaut. Für mich war bereits während des Studiums klar, dass ich einmal an der Ariane 6 arbeiten möchte, weshalb dieser Meilenstein für mich etwas ganz Besonderes darstellt. Auch wenn ich erst seit zwei Jahren an der nächsten großen europäischen Trägerrakete arbeite, war diese Zeit besonders intensiv und nicht nur ich, sondern das ganze Team, fiebern voller Vorfreude dem Erststart der Ariane 6 entgegen. Ich glaube, ich kann für alle Raumfahrtbegeisterten sprechen, wenn ich sage, dass wir alle gespannt auf diesen Meilenstein warten.

Frau Chrobry, Sie haben einen gemeinsamen Masterstudiengang zwischen der Universität Danzig und der Hochschule Bremen initiiert. Warum war Ihnen das so wichtig?

Dr. Anna Chrobry: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bündelung der Kräfte in ganz Europa für das weitere Wachstum des Raumfahrtsektors von entscheidender Bedeutung ist, insbesondere zwischen alten Akteuren wie Deutschland und aufstrebenden Akteuren wie Polen. Um zu wachsen, braucht es aber auch gut ausgebildete Fachkräfte. Außerdem sind Bremen und Danzig Partnerstädte und beide Raumfahrtstädte, in denen die entsprechenden Unternehmen ansässig sind. Sie sind also die idealen Orte, um eine Karriere in der Raumfahrt zu starten.

Frauen haben beim Apollo-Programm eine wichtige Rolle gespielt, die lange verkannt wurde. Sie arbeiten nun am European Service Module für die NASA. Schließt sich so für Sie der Kreis?

Dr. Anna Chrobry: In nur wenigen Jahren werden wir zum Mond zurückkehren. Das neue Mondprogramm trägt den Namen Artemis, nach der griechischen Mondgöttin und Zwillingsschwester von Apollo. Und obwohl es für die erste Astronautin nur ein kleiner Schritt sein wird, wird es für uns alle, für die Frauen in der Wissenschaft und in der Raumfahrtindustrie, ein großer Sprung sein. Seit der ersten Mondlandung hat sich vieles geändert: Heute erhält die Generation der Frauen, die an den großen Missionen mitgewirkt hat, wie im Film „Hidden Figures“ (Titel des Films von Theodore Melfi über Frauen, die bei der NASA arbeiteten) mehr Aufmerksamkeit. Es gibt genug Platz im Weltraum für Männer und Frauen. Und es lohnt sich, unsere Leistungen ins rechte Licht zu rücken. Wir müssen aus dem Schatten heraustreten und zeigen, was wir tun und wie wichtig auch Frauen für die Raumfahrtindustrie sind. Immerhin wird zum ersten Mal in der Geschichte eine Frau auf dem Mond stehen, dank eines von Europa und den USA gemeinsam gebauten Fahrzeugs. •
Vielen Dank!

Quelle: DGLR-Mitgliedermagazin "Luft- & Raumfahrt", Ausgabe 3, 2024

Das Interview führte Stefan Lakeband, Kommunikationsreferent der ArianeGroup.