18.07.2022 - Allgemein, Raumfahrt

Mond-Rover und ESA-Astronaut Thomas Reiter meistern Herausforderung am Ätna

Bei dem komplexen Rollenspiel einer Mission zum Mond haben Flugteams der ESA in Darmstadt gemeinsam mit einem Team von Geowissenschaftler:innen und dem ESA-Astronauten Thomas Reiter die Sammlung von Gesteinsproben durch einen Rover geleitet. Als ob er sich in der Mondumlaufbahn befände, arbeitete Thomas Reiter in Wirklichkeit von einem Hotelzimmer in Catania, Sizilien, aus, während der Rover 23 km entfernt und 2.600 m hoch auf den Vulkanhängen des Ätna stand. Als Reiter dem Rover den Befehl gab, Steine aufzuheben, fühlte seine Hand genau das, was der Greifer des Roboters fühlte - eine neue Dimension der Fernsteuerung.


Bild: ESA

Dieser abschließende Teil der „Analog-1“-Tests der ESA fand im Rahmen einer größeren Kampagne mit mehreren Organisationen und Rovern statt, die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) organisiert wurde. Das Projekt ARCHES (Autonomous Robotic Networks to Help Modern Societies) untersuchte die Fähigkeit autonomer Roboter, in einem Netzwerk zusammenzuarbeiten und Daten auszutauschen.

Der vierrädrige und zweiarmige Interact-Rover der ESA wurde vom Human-Robot Interaction Lab gebaut und für die staubigen Hänge des Vulkans speziell ausgerüstet. Der Roboter war Teil eines Teams aus zwei DLR-Rovern - den Lightweight Rover Units 1 und 2 - sowie mit einem fest installierten Mondlander, der die Rover mit WiFi und Strom versorgte, und einer Drohne zur Kartierung der Oberfläche. Das Karlsruher Institut für Technologie stellte den tausendfüßlerähnlichen Scout Crawler zur Verfügung, der für schwieriges Gelände optimiert ist und auch als Verbindung zwischen Interact und dem Lander dienen und dessen Einsatzbereich vergrößern könnte.

Zum Abschluss der Übung transportierte der Rover Steine zum Lander. Damit endete die viertägige, simulierten Mission einer Probensammlung per Rover auf dem Mond. Der Rover wurde dabei von einem Rover-Kontrollzentrum und einem Zentrum für den wissenschaftlichen Betrieb auf der Erde sowie von einem Astronauten an Bord des Lunar Gateways gesteuert. Der Betrieb des Rovers wurde von ESA ESOC in Darmstadt aus koordiniert, während Thomas Reiter und die Wissenschaftler:innen in getrennten Zimmern in einem Hotel in der Nähe untergebracht waren.

„Eine simulierte Mission wie diese ist im Grunde genommen ein Rollenspiel, bei dem es sehr wichtig ist, dass die Spieler:innen vollständig in das Szenario eintauchen können“, sagte Analog-1-Projektleiter Kjetil Wormnes. „In diesem Fall bedeutete das, dass die Rover-Kontrolle beim ESOC, die Wissenschaftler:innen im wissenschaftlichen Betriebszentrum und natürlich auch der Astronaut an Bord unseres analogen Lunar Gateways sich wie auf dem Mond fühlen mussten. Der Ätna wurde wegen seiner ausgezeichneten mondähnlichen Geologie, als Testort ausgewählt, da er eine angemessen authentische Simulation ermöglichte, während der Astronaut und die Wissenschaftler:innen in einem Hotel im nahe gelegenen Catania untergebracht waren.“

Um eine möglichst realistische Wirkung zu erzielen, wurde das Steuersystem des Rovers um eine Sekunde verzögert, was der Zeit für die Übertragung der Befehle zwischen der Gateway-Station und der Mondoberfläche entspricht. Die Methode der Kraftrückkopplung wurde für solche Verzögerungen entwickelt. Wormnes fügte hinzu: „Es war eine herausfordernde Aufgabe, aber die Systeme haben sehr gut funktioniert, und wir haben viel über den Betrieb eines Rovers auf dem Mond gelernt, das uns bei zukünftigen Einsätzen helfen kann. Wir sind sehr glücklich, denn es hat viel Arbeit gekostet, um diesen Punkt zu erreichen, und die Tests hier am Ätna wurden wegen COVID-19 immer wieder verschoben.“

Thomas Reiter erklärte: „Wir haben viel über die Zusammenarbeit zwischen der Bodenstation auf der Erde und der Besatzung einer Raumstation in der Mondumlaufbahn gelernt, die gemeinsam einen Rover auf der Oberfläche betreiben - dieser „gemeinsame“ Betrieb kann extrem effizient sein - viel effizienter, als wenn beide Seiten es alleine täten.“

Thomas Krüger, Leiter des Human Robot Interaction Lab der ESA, sagte: „Der heutige Erfolg ist großartig, denn er bedeutet, dass wir diese Methode der Kraftrückkopplung jetzt als bewährt einstufen können und bereit sind, sie mit unseren internationalen Partnern bei der Planung zukünftiger Monderkundungen einzusetzen.“

„Der Weg bis zu diesem Punkt war lang: Unser Team hat vor mehr als zehn Jahren mit der Arbeit an diesem Konzept begonnen und es Schritt für Schritt immer komplexer gestaltet. Wir begannen mit einem einfachen Joystick, der von einer Astronautin oder einem Astronauten in der Umlaufbahn ferngesteuert werden konnte, um die Wahrnehmung von Kraftrückkopplung in der Schwerelosigkeit zu erforschen. Unser Labor entwickelte dann den speziell für die Bedienung aus dem Weltraum entwickelten Interact Rover. Anschließend ging es zum ersten großen Analog-1-Test, der von Luca Parmitano von der Internationalen Raumstation aus über eine Mondlandschaft in einem niederländischen Hangar gesteuert wurde.“

Der einzige noch ausstehende Test war der Nachweis, dass das System mit den Unwägbarkeiten einer natürlichen Umgebung im Freien zurechtkommt. Mit der jüngsten Ätna-Kampagne ist dies nun gelungen. Thomas Reiter kämpfte mit einem steilen Abhang und den im Sand steckengebliebenen Rädern des Rovers, konnte die Proben aber dennoch einsammeln und zum wartenden Lander zurückbringen.Thomas Krüger fügt hinzu: „Der Rover hat eine Menge Raffinesse zu bieten. Wir fanden schnell heraus, dass die ständige Überwachung aus der Ferne für Astronaut:innen sehr anstrengend war, weshalb wir Funktionen zur Entlastung integriert haben - vergleichbar mit dem Fahrassistenten in modernen Autos. So kann die Bedienerin oder der Bediener zum Beispiel auf einen Ort zeigen und den Rover selbst entscheiden lassen, wie er sicher dorthin kommt. Sein neuronales Netz wurde außerdem so programmiert, dass es wissenschaftlich wertvolle Steine selbst erkennt.“

„So kann sich die Bedienerin oder der Bediener auf die vorrangigen Aufgaben konzentrieren, für die Menschen am besten geeignet sind. Das Gelände erwies sich für Radfahrzeuge als schwierig, deshalb war es eine enorme Erleichterung zu sehen, wie gut es sich bewährt hat.“ Am letzten Testtag haben die Rover gemeinsam eine Reihe von „LOFAR“-Antennen an optimalen Stellen auf der ‚Mondoberfläche' platziert, um Radioastronomie durchzuführen. Diese Antennen waren tatsächlich funktionierende Modelle, und die Astronom:innen verbrachten eine Nacht auf dem Berg, um eine Durchmusterung des Himmels auf Radiowellen vorzunehmen. Dabei konnten sie einen Radioburst vom Jupiter auffangen, der durch den Durchgang seines vulkanischen Mondes Io durch sein Magnetfeld verursacht wurde.

„Ich bin überzeugt, dass wir in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts bestens vorbereitet sein werden, um genau diese Art von gemeinsamen Einsätzen zwischen der Boden- und der Raumstation durchzuführen und einen Rover auf der Mondoberfläche zu steuern“, fasste Thomas Reiter zusammen. „Der Moment wird übrigens kommen, an dem auch europäische Astronaut:innen ihre Fußspuren auf der Mondoberfläche hinterlassen werden! Und selbst in einem solchen Szenario wird der gemeinsame Einsatz von Robotersystemen und der Besatzung an der Oberfläche äußerst effizient sein.“

 

Quelle: https://www.esa.int/Space_in_Member_States/Germany/Rover_und_Astronaut_meistern_Herausforderung_am_Aetna