05.06.2025 - Allgemein, Raumfahrt

ESA startet MTG-S1 für schnellere und genauere Wetterwarnungen

Der neue Satellit MTG-S1 der Europäischen Weltraumorganisation ESA soll die Wettervorhersage mit einem hochentwickelten Infrarot-Spektrometer revolutionieren, das erstmals dreidimensionale Daten zu Temperatur, Feuchtigkeit und Spurengasen liefert. Diese Innovation ermöglicht präzisere Unwetterwarnungen, sichereren Flugverkehr und fundiertere Klimabeobachtungen.


Bild: ESA/Mlabspace

Der Satellit MTG-S1, der sich in einer Umlaufbahn in 36 000 km Entfernung von der Erde befindet,soll die Art und Weise der Unwettervorhersage revolutionieren. Im Gegensatz zu den bildgebenden Satelliten, die die Konstellation der MTG-Mission vervollständigen, nutzt MTG-S1 seinen Infrarotsensor, um Daten über Temperatur, Feuchtigkeit und Spurengase zu erfassen. Die Daten werden zur Erstellung dreidimensionaler Karten der Atmosphäre verwendet.

Diese Daten sollen dazu beitragen, sich schnell entwickelnde und potenziell gefährliche Wettersysteme zu erkennen und vorherzusagen. Sie sollen Anwendungen unterstützen, die genauere Wetterwarnungen liefern, Gemeinden bei der Vorbereitung auf Stürme helfen, Pilotinnen und Piloten vor Gebieten mit unsichtbaren Turbulenzen warnen und Pläne zur Minderung von Klimarisiken unterstützen - was letztlich Leben rettet und Schäden an Eigentum und Infrastruktur verringert.

„Diese Mission wird die Vorhersage verändern, denn sie nutzt innovative Weltraumtechnologie, um uns dreidimensionale Daten über die Atmosphäre zu liefern und schnellere Reaktionen auf extreme Wetterbedingungen zu ermöglichen“, sagte Simonetta Cheli, ESA-Direktorin für Erdbeobachtungsprogramme, und fügte hinzu: „Während der gesamten Entwicklung dieser Mission war ich von dem Engagement und dem Fachwissen der Teams der ESA und unserer europäischen Partner beeindruckt, und ich möchte allen Beteiligten für ihren Kooperationsgeist danken. Ihre harte Arbeit bedeutet, dass diese Mission zu einer besseren Vorhersage zum Nutzen der Bürger beitragen wird.“

1. Eine neue Dimension für die Wettervorhersage

Bisher hat sich die europäische Flotte geostationärer Wettersatelliten ausschließlich auf Imager verlassen. Diese Instrumente nehmen hochauflösende Bilder der Erde auf und sind von unschätzbarem Wert für die Verfolgung von Wolkenbedeckung und Sturmsystemen. Allerdings liefern sie nur zweidimensionale Daten, die zeigen, was oben in der Atmosphäre passiert, aber nicht, was darunter liegt.

Der Infrared Sounder an Bord von MTG-S1 bietet eine völlig neue Möglichkeit, indem er Infrarotspektren in jedem seiner Pixel misst. Anhand dieser Informationen können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler atmosphärische Eigenschaften wie Temperatur und Feuchtigkeit sowohl vertikal als auch horizontal ermitteln. Die verwendete Technologie - die so genannte bildgebende Fourier-Transform-Spektrometrie - erkennt die einzigartigen „Fingerabdrücke“, die auf den Infrarot-Lichtwellen entstehen, wenn Gase in der Atmosphäre Infrarotlicht emittieren oder absorbieren.

„MTG-S1 ermöglicht uns den Übergang von flachen Bildern zu vollständig dreidimensionalen Ansichten der Atmosphäre“, erklärt Tobias Guggenmoser, MTG-S Lead Payload Engineer bei der ESA. „Indem wir jede halbe Stunde 1700 Infrarotkanäle erfassen, können wir den Himmel in Schichten aufteilen - Temperatur, Feuchtigkeit und sogar Spurengase - so dass die Meteorologinnen und Meteorologen genau sehen können, was in jeder Höhe passiert.“

2. Schnellere Warnungen vor Unwettern

Der Begriff Nowcasting bezieht sich auf Vorhersagen auf kurzen Zeitskalen, von wenigen Minuten bis zu ein paar Stunden im Voraus. Dies ist entscheidend für sich schnell entwickelnde Ereignisse wie Gewitter, Tornados oder Sturzfluten. Die Fähigkeit des MTG-S1, Europa alle 30 Minuten zu besuchen und ein vertikales Temperatur- und Feuchtigkeitsprofil zu liefern, bedeutet, dass die Meteorologinnen und Meteorologen nahezu in Echtzeit über die atmosphärischen Bedingungen informiert werden.

Mit dem Infrarot-Sounder lassen sich vertikale Luftbewegungen erkennen, einschließlich Temperaturinversionen, bei denen eine warme Schicht kühlere Luft darunter einschließt. Inversionen können die Aktivität von Gewittern unterdrücken, bis die Inversion zusammenbricht und Energie in Form von heftigen Regengüssen oder Hagel freisetzt. Ohne vertikale Daten sind Inversionen für herkömmliche Bildgeber unsichtbar - mit dem hyperspektralen Sounder von MTG-S1 werden sie jedoch deutlich.

„Einige Arten von Stürmen entwickeln sich sehr schnell, und die vertikale Dynamik der Atmosphäre spielt dabei eine zentrale Rolle“, sagt James Champion, der MTG-Projektleiter der ESA. „Durch die dreidimensionale Beobachtung von Schlüsselmerkmalen wie Temperatur und Windgeschwindigkeit und deren Verfolgung über die Zeit können Wissenschaftler diese Stürme bereits zu Beginn ihrer Entwicklung erkennen und so die Vorlaufzeit für Wetterwarnungen verlängern.“

3. Den Himmel für den Flugverkehr sicherer machen

Turbulenzen sind eine immerwährende Gefahr für den Flugverkehr - sie verursachen sowohl Unannehmlichkeiten als auch Gefahren für Pilotinnen, Piloten und Passagiere. Manchmal ist die Ursache sichtbar, aber manchmal treten Turbulenzen auch bei klarem Wetter auf. Turbulenzen können beispielsweise auftreten, wenn der Wind über Gebirgszüge hinwegfegt und die Luft in unsichtbaren Wellen nach oben drückt, die sich über weite Strecken ausbreiten können. Auch vulkanische Aschewolken stellen eine große Gefahr für Flugzeugtriebwerke dar.

Die vertikalen Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsprofile von MTG-S1 in Verbindung mit Windschätzungen ermöglichen es Meteorologinnen und Meteorologen, diese versteckten Gefahren zu erkennen.

„Die Luftfahrt ist einer der wichtigsten Bereiche, der von den Daten des MTG-S1-Satelliten profitieren wird“, so James. „Durch die Bereitstellung eines dreidimensionalen Bildes von Temperatur, Wind und Luftfeuchtigkeit, das sich im Laufe der Zeit entwickelt, wird MTG-S1 den Wetterdiensten dabei helfen, mehr dieser turbulenten Regionen zu identifizieren und ihre Bahnen genauer vorherzusagen. Für Fluggesellschaften und Fluglotsen bedeutet das eine intelligentere Flugplanung“.

4. Unterstützung von Klima und Umwelt

Meteosat-Satelliten liefern seit 1977 umfangreiche Wetterdatensätze. Jetzt wird MTG-S1 diesen Datenbestand um Infrarot-Sondierungsdaten erweitern und damit die Klimadaten bereichern. Neben der Messung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit auf verschiedenen atmosphärischen Ebenen kann das Infrarot-Sondiergerät auch Treibhausgase wie Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Methan und Ozon nachweisen.

„Mit MTG-S1 können wir nicht nur die Stürme von morgen vorhersagen, sondern auch die langfristigen Aufzeichnungen erstellen, die für die Verfolgung des Klimawandels erforderlich sind“, sagt James. „Die Daten des Sounders werden von hochkomplexen Algorithmen verarbeitet, um Entscheidungsträgern Informationen über die Zusammensetzung der Atmosphäre zu liefern, die es ihnen ermöglichen, verfeinerte Strategien zur Eindämmung von Klimarisiken zu entwickeln und umzusetzen.“

Eine Auswirkung des Klimawandels besteht darin, dass die Wahrscheinlichkeit von Wetterextremen zunimmt. Durch die Verbesserung der Nowcasting-Fähigkeiten wird MTG-S1 dazu beitragen, diese wachsende Gefahr einzudämmen.

Am Weltumwelttag ist MTG-S1 ein Beispiel dafür, wie weltraumgestützte Beobachtung dabei hilft, rechtzeitig präzise Daten über extremes Wetter bereitzustellen, Umweltveränderungen zu verfolgen und Luftverschmutzung zu überwachen.

5. Für die Zukunft entwickelt

MTG-S1 soll neue Maßstäbe setzen, denn sein Infrarot-Spektrometer gehört zu den komplexesten und leistungsfähigsten hyperspektralen Instrumenten, die je für den Einsatz im All gebaut wurden. Die Auswahl der passenden Technologie für die Ziele der Mission – und deren Erfüllung der anspruchsvollen technischen Standards der ESA – erforderte Fachwissen aus zahlreichen Disziplinen.

„Das Infrarot-Spektrometer ist wahrscheinlich das ambitionierteste Beispiel dieser Technologie, das es bisher gibt“, sagt Tobias. „Und als Wettersatellit muss es dauerhaft und störungsfrei funktionieren.“

Er ergänzt: „Im ESA-MTG-Team haben wir sowohl Leute mit Erfahrung bei solchen Instrumenten als auch Expertinnen und Experten für alles – von der Datenverarbeitung an Bord bis hin zu hochpräzisen mechanischen Systemen. Dadurch konnten wir nicht nur die Entwicklung des Spektrometers selbst steuern, sondern auch die Fähigkeiten unserer Industriepartner weiterentwickeln – und damit das Fundament für zukünftige Satellitengenerationen legen.“

Quelle (Englisch): https://www.esa.int/Applications/Observing_the_Earth/Meteorological_missions/meteosat_third_generation/Why_MTG-S1_is_a_nowcasting_game-changer