06.05.2022 - Allgemein, DGLR, Presse, Raumfahrt

Nach 175 Tagen im All: Dr. Matthias Maurer nach erfolgreicher ISS-Mission gelandet

Am 6. Mai um 6:43 Uhr mitteleuropäischer Zeit ist der deutsche Astronaut Dr. Matthias Maurer der Europäischen Weltraumorganisation ESA nach einem rund sechsmonatigen Forschungsaufenthalt auf der Internationalen Raumstation ISS zurückgekehrt. Gemeinsam mit seinen Kollegen von der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA, Raja Chari, Kayla Barron und Thomas H. Marshburn, landete er an Bord einer Dragon-Raumkapsel im Meer vor der Küste Floridas. „Cosmic Kiss“ war die erste ISS-Mission des 52-Jährigen. Die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) heißt Maurer herzlich willkommen zurück auf der Erde.


Bild: NASA/Aubrey Gemignani

„Wir sind stolz, dass mit Dr. Matthias Maurer wieder ein deutscher Astronaut auf der Raumstation arbeiten konnte. Er hat durch die Experimente auf der ISS zu den Themen Materialwissenschaften, Humanphysiologie, Technologie und Nachwuchsförderung wichtige Erkenntnisse mitgebracht. Herr Maurer hat damit einen bedeutenden Beitrag zu der exzellenten Forschung unter Weltraumbedingungen geleistet, die einen wichtigen Einfluss auf uns Menschen und unser Leben hat“, sagt Roland Gerhards, Präsident der DGLR. „Die politischen Spannungen auf der Erde machen jedoch auch vor dem Weltraum nicht halt. Sowohl aus wissenschaftlicher Perspektive als auch zur Völkerverständigung ist ein Weiterbetrieb der Station bis 2024 außerordentlich wünschenswert. “

Nach der Landung flog Maurer direkt nach Köln zum raumfahrtmedizinischen Forschungszentrum :envihab, um sich von den körperlichen Strapazen des langen Weltraumaufenthalts zu erholen. Ein Team aus Ärzten und Wissenschaftlern betreut ihn dort und führt abschließende Untersuchungen durch.

Die Mission Cosmic Kiss

Für Maurer steht der Missionsname „Cosmic Kiss“ synonym für die „Bekundung der Liebe zum Weltall.“ Es soll Ausdruck der besonderen Bedeutung der Raumstation als Bindeglied zwischen den Bewohnern der Erde und dem Weltall sein. Er steht für den Wert der partnerschaftlichen Erkundung des Weltraums und einen respektvollen und nachhaltigen Umgang mit der Erde. Mit der „Cosmic Kiss“-Mission holte Maurer sich den Titel: 600. Mensch im All.

Als erster Deutscher flog Maurer mit einem privat finanzierten Dragon-Raumschiff des amerikanischen Unternehmens SpaceX zur ISS. Seitdem Ende 2020 der Vertrag der NASA mit der russischen Weltraumbehörde Roskosmos für den Astronautentransport mit der Sojus-Rakete ausgelaufen ist, fliegen amerikanische, europäische, japanische und kanadische Astronauten von US-amerikanischem Boden aus mit den Dragon-Raumschiffen von SpaceX zur ISS.

Maurer ist derzeit einer von sieben aktiven Astronauten der Europäischen Weltraumorganisation und Mitglied im ESA-Astronautenkorps. Zur Missionsvorbereitung absovierte er unter anderem Trainingseinheiten im Astronautenzentrum der ESA in Köln, am Johnson Space Center der NASA in Houston sowie in Russland, Japan und Kanada. 2016 war er zudem Crewmitglied der NASA-Analog-Mission NEEMO 21. Dafür verbrachte er insgesamt 16 Tage unter Wasser und testete Erkundungsstrategien für zukünftige Mars-Missionen.

Experimente für ein besseres Leben auf der Erde

Während seines Aufenthalts führte Maurer über 100 Experimente von allen ISS-Partnern durch – 60 unter europäischer Führung, davon 34 unter deutscher. Ihr Spektrum reichte von Grundlagenforschung bis hin zur Anwendung in Bereichen wie Lebens- oder Materialwissenschaften, Physik, Biologie, Medizin, Technologieentwicklung und Künstliche Intelligenz sowie Erdbeobachtung.

Eines der materialwissenschaftlichen Experimente war das „Concrete Hardening“, das wichtige Ergebnisse für nachhaltiges Bauen liefert. Für die Festigkeit von Beton ist neben Mischverhältnis und Verstärkungen (Armierung) das Aushärten entscheidend. Dieses wird auf der Erde stark von der Gravitation beeinflusst. Für die Materialforschung ist es daher von großem Interesse herauszufinden, wie sich die Mischung aus versintertem Kalk und Ton sowie Sand und Wasser ohne die Gravitation verhält. Dadurch lassen sich chemische und physikalische Prozesse besser verstehen, Mischverhältnisse optimieren und somit wertvolle Ressourcen einsparen. Maurer analysierte hierfür erstmals, wie unterschiedliche Betonmischungen – bestehend aus Zement, Sand und dem Mondstaub Regolith – zusammen mit verschiedenen Zusätzen wie Luftporenbildnern und Wasser, in Schwerelosigkeit aushärten.

Während Maurers Aufenthalt wurde seine Körperkerntemperatur kontinuierlich beobachtet – diese steigt nämlich im All dauerhaft an. Das sogenannte Space Fever kann zum Beispiel bei Außenbordeinsätzen gefährlich für die Astronauten werden. Welche Ursachen es dafür aus biomedizinischer Sicht gibt, sollte der „Thermo-Mini“ herausfinden. Maurer trug den miniaturisierten Thermosensor wie ein gewöhnliches Stirnband. Zukünftig soll der „Thermo-Mini“ in das Standardmonitoring der Astronautengesundheit aufgenommen werden. Mit den aufgezeichneten Daten sollen Wissenslücken geschlossen werden. Davon sollen auch Menschen profitieren, die unter extremen Bedingungen auf der Erde arbeiten, wie bei Feuerwehreinsätzen oder in Bergwerken.

Experimente zur Technologieerprobung und Künstlicher Intelligenz waren ebenfalls Bestandteil der „Cosmic Kiss“-Mission. Dafür kam die neueste Virtual-Reality(VR)-Technologie zum Einsatz. Maurer testete ein innovatives und intuitives VR-Training für komplexe Wartungstätigkeiten an Bord der ISS. Im Gegensatz zum üblichen On-Board-Training (OBT) gibt das VR-OBT den Besatzungsmitgliedern die Möglichkeit, mit komplexer Hardware zu interagieren und anspruchsvolle Aufgaben physisch zu imitieren – in Anlehnung an die effektive Methode „Lernen durch Handeln“. Das VR-OBT ermöglicht so während einer Raumflugmission Trainingseinheiten, die normalerweise nur mit Simulatoren oder analoger Hardware auf der Erde durchführbar sind.

Weiterhin konnte Maurer einen erfolgreichen Außenbordeinsatz verbuchen. Zusammen mit dem NASA-Astronauten Raja Chari machte er unter anderem die europäische Forschungsplattform „Bartolomeo“ – von Hersteller Airbus gebaut und getestet – betriebsbereit. 2020 war sie auf den Weg Richtung ISS gebracht worden. Mit ihren Maßen von zwei Mal zweieinhalb Metern bietet die 484 Kilogramm schwere Plattform den verfügbaren Platz für zwölf Experiment- und drei Antennenplätze. „Bartolomeo“ soll kommerzielle Forschung durch weitere Nutzergruppen ermöglichen. Firmen und Forschungseinrichtungen erhalten durch die Kommerzialisierung schnelleren Zugang zur ISS und können so ihre Experimente und Technologien unter den Bedingungen des Weltraums testen. Langfristig versprechen sich die Raumfahrtagenturen auf diese Weise einen kostengünstigeren Zugang als bei einem rein institutionellen Betrieb der ISS.

Über 100 SchülerInnen bei Live-Gesprächen mit Maurer

Ein weiteres Anliegen von Maurers Mission war der Austausch mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs. Mitmach-Experimente, Wettbewerbe für Schulklassen zum Thema Klimaschutz sowie Live-Gespräche zur Erde sollten junge Menschen für Raumfahrt, Forschung und Technik begeistern. Für die Aktion „Hand in Hand um die Welt“ hatten über 1.000 Grundschulkinder im Vorfeld Klassen-Selfies gemalt, die teils zu einem zehn Meter langen Bilderstreifen zusammengefügt, teils in elektronischer Form gespeichert mit zur ISS geflogen sind. In einer Live-Übertragung zeigte Maurer einige dieser Bilder und stellte sich den Fragen der SchülerInnen. Insgesamt waren sieben Schulklassen aus Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und dem Saarland per Video zugeschaltet. Dabei ging es um die Sicherheit der Astronauten, das Leben und Experimentieren an Bord und den Ausblick von der ISS auf die Erde. Auch bei der DGLR unterstützt Maurer den Nachwuchs. Für den aktuell ausgeschriebenen Nachwuchsgruppenwettbewerb ruft er zur Teilnahme auf. Dabei möchte die DGLR Studierenden einer deutschen Universität oder Hochschule den Start eines eigenen, relevanten und originellen Forschungsprojekts im Bereich Luft- oder Raumfahrt ermöglichen. Die Bewerbungsphase läuft noch bis zum 1. Juli 2022.

Die DGLR – Informieren, Vernetzen, Fördern

Die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt – Lilienthal-Oberth e.V. (DGLR) ist die älteste Institution in der Bundesrepublik Deutschland, die allen, die sich privat oder beruflich mit Luft- und Raumfahrt beschäftigen, ein gemeinsames Forum bietet. Hier vernetzt sich das Wissen der Luft- und Raumfahrt, aktuelle Projekte und Entwicklungen werden vorgestellt und gute Ideen gefördert und honoriert.