23.05.2023 - Allgemein, Luftfahrt, Raumfahrt

Jubiläum im Steilflug

Am 23. Mai 2023 ist es so weit: Um 9.00 Uhr rollt ein ganz spezieller Airbus A310 am Flughafen Bordeaux-Mérignac zur Startbahn. Die Maschine wird zu einem besonderen Flug aufbrechen. Es ist der erste von insgesamt drei Flügen in der 40. Parabelflugkampagne der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR, die vom 15. bis zum 25. Mai 2023 in Bordeaux stattfindet. An Bord sind elf Experimente – drei aus den Bereichen Biologie und Humanphysiologie und acht aus der Grundlagenphysik, Technologie und Materialwissenschaften. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen die Schwerkraft im Flug überwinden. Dafür steuern die Piloten die Maschine in eine Flugbahn, die der eines geworfenen Balls ähnelt. So erreicht man für etwa 22 Sekunden Schwerelosigkeit – und dies bis zu 31 Mal hintereinander. Diese Flüge sind die einzige Möglichkeit für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ihre Versuche eigenhändig in der Schwerelosigkeit durchzuführen.


Bild: DLR

„Parabelflüge sind ein wichtiger Teil in unserem Programm Forschung unter Weltraumbedingungen. Hier bringen wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihren spannenden Experimenten direkt in die Schwerelosigkeit. Viele Experimente, die auf der Internationalen Raumstation ISS durchgeführt wurden, haben sich zuvor auf Parabelflugkampagnen bewährt. Unsere Parabelflüge sind für die Wissenschaft also auch ein Tor zum Weltraum“, sagt Dr. Walther Pelzer, DLR-Vorstand und Leiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR, der bei der Jubiläumskampagne zum ersten Mal mit an Bord sein wird.

„Mit der 40. Kampagne blicken wir auf eine lange DLR-Parabelflug-Tradition zurück: In 147 Flugtagen wurden über 4.000 Parabeln geflogen. Dabei haben wir in dieser Zeit mehr als 600 Experimenten und ebenso vielen Teams eine „Bordkarte“ in die Schwerelosigkeit ausgestellt. Für sie ist es die einzige Möglichkeit, gemeinsam mit ihren eigenen Experimenten die Schwerelosigkeit zu nutzen“, blickt Dr. Katrin Stang, Parabelflug-Programmleiterin bei der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR, auf die vergangenen Flüge zurück. Bei dieser Jubiläumskampagne sind auch drei neue Experimente mit dabei: „SCARLETT“ untersucht das Abrutschen eines Hügels, Berges oder Kraters auf einer simulierten Marsoberfläche. Das „XIM“-Experiment testet eine 3D-Biodrucktechnologie unter Schwerelosigkeit. „MALCOM“ untersucht Methoden des Maschinellen Lernens zur Untersuchung von komplexen Plasmen in Schwerelosigkeit. Die acht weiteren Experimente sind bereits bei früheren Kampagnen mitgeflogen. Hier werden die Daten anhand neuer Testpersonen erweitert oder neue Fragestellungen oder Materialien getestet. Gestartet wird an drei Flugtagen vom 23. bis zum 25. Mai, wobei zum ersten Mal auch der Raumfahrt-YouTuber „Senkrechtstarter“ mit an Bord sein wird.

SCARLETT – Wenn Marshänge im Parabelflug ins Rutschen geraten

Der Mars hat eine extrem dünne Atmosphäre. Herrscht auf der Erde ein Druck von etwa 1.000 Hektopascal, so ist er auf dem Marsboden im Mittel gerade einmal sechs Hektopascal schwach. Dieser geringe Druck hat Folgen: Gas bewegt sich in den Poren von kalten zu warmen Stellen, was als thermisches Kriechen bekannt ist. In unserem Sonnensystem findet man dieses Phänomen nur im Marsboden. Im Experiment SCARLETT wird untersucht, ob und wie der Hang eines Hügels, Berges oder Kraters oberhalb eines bestimmten Neigungswinkels durch thermisches Kriechen abrutscht. Denn auch in Marskratern beziehungsweise auf Marshängen werden diese Hänge oberhalb eines bestimmten Winkels instabil und rutschen ab. Allerdings sind diese Hänge viel flacher als erwartet. Thermisches Kriechen ist eine mögliche Ursache für die Reduzierung der Neigungswinkel. Denn Temperaturunterschiede entstehen im Marsboden auf ganz natürliche Weise durch Sonneneinstrahlung. Ganz besonders Schattenwürfe an Hängen spielen hier eine große Rolle, da sie lokal sehr hohe Temperaturunterschiede erzeugen können. Die Forscher der Universität Duisburg-Essen untersuchen, unter welchen Bedingungen und bei welchem Winkel die Hänge zu rutschen beginnen.

XIM – Entwicklung eines volumetrischen 3D-Demonstrators

3D-Druck hat das Potenzial, als kostengünstige und variable Fertigungsmethode Raumfahrtmissionen zu unterstützen. Für Missionen auf der Internationalen Raumstation ISS wurde der schnell verfügbare Druck von Ersatzteilen und spezifischen Werkzeugen bereits erprobt. Für Langzeitmissionen über den Erdorbit hinaus ist eine Versorgung von der Erde aus unmöglich. Daher müssen für den Erfolg dieser Missionen die benötigten Teile an Bord des Raumschiffes selbst hergestellt werden. Doch hier geht es um weit mehr als die Herstellung von Ersatzteilen. Der 3D-Biodruck wird im Rahmen der regenerativen Medizin eine herausragende in Langzeitmissionen spielen, um die langfristige Gesundheit der Besatzung sicherzustellen. Während der 40. DLR-Parabelflugkampagne wird mit dem volumetrischen 3D-Druck mittels Xolographie erstmals eine neue 3D-Drucktechnologie in Schwerelosigkeit erprobt. Die xolo GmbH wird nachweisen, dass dieses Verfahren unabhängig von der Stärke der Schwerkraft einsetzbar ist, um gewünschte Objekte präzise zu fertigen. Dank der beeindruckenden Geschwindigkeit der Xolographie im Vergleich zu anderen Methoden kann in kürzester Zeit eine Vielzahl von Experimenten durchgeführt werden. Dabei werden sowohl Plastikmaterialien untersucht als auch Hydrogele verdruckt, die das Ausgangssubstrat für biotechnologische Anwendungen in der regenerativen Medizin darstellen.

MALCOM – Maschinelles Lernen unterstützt Plasmaforschung

Als „Plasma“ bezeichnet man ein elektrisch leitfähiges Gas, das oft auch neben fest, flüssig und gasförmig als der vierte Aggregatzustand bezeichnet wird. Im Weltraum ist das Plasma der Normalzustand in Sternen, im interplanetaren und interstellaren Raum. Auf der Erde nutzt man einfache Plasmen beispielsweise in Leuchtstofflampen und zur Chipherstellung. Doch bei komplexen Plasmen – auch staubige Plasmen genannt – wird die Schwerkraft oft zu einem großen Problem: Sobald man eine größere Staubwolke mit mikrometergroßen, ins Plasma eingebrachten Teilchen erzeugen möchte, presst die Schwerkraft die Wolke am unteren Rand des Plasmas zusammen. Auf Parabelflügen können diese Experimente ohne den Einfluss der störenden Schwerkraft durchgeführt werden. Damit werden neuartige Eigenschaften des Staub-Plasma-Systems für Messungen zugänglich. Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist das Verhalten der schweren Partikel in einem komplexen Plasma besonders interessant, da solche partikelhaltigen Plasmen auch in Kometenschweifen, den (Staub-)Ringen von Planeten und plasmatechnologischen Prozessen zu finden sind. Auf der Jubiläumskampagne soll das Zusammenspiel einer speziellen „Zyflex-Plasmakammer“, die am DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum entwickelt wurde und nun an der Universität Greifswald betrieben wird, mit dem stereoskopischen Kameraaufbau zur dreidimensionalen Teilchenverfolgung der Universität Greifswald erprobt werden. Beides sind zentrale Bestandteile für das geplante ISS-Experiment COMPACT (Complex Plasma Facility). Zur Analyse der Stereoskopie-Daten werden Methoden zum Maschinellen Lernen entwickelt, die bei den Daten aus dieser Parabelflugkampagne zum Einsatz kommen sollen.

Der DLR-Parabelflug

Seit 1999 organisiert die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR regelmäßig Parabelflüge für biologische, humanphysiologische, physikalische, technologische und materialwissenschaftliche Fragestellungen. Das Forschungsflugzeug, der A310 ZERO-G der französischen Firma Novespace, wird ein- bis zweimal jährlich für wissenschaftliche Kampagnen des DLR, der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der französischen Raumfahrtagentur CNES genutzt. Eine DLR-Parabelflugkampagne besteht in der Regel aus drei Flugtagen mit zirka vier Flugstunden, an denen jeweils 31 Parabeln geflogen werden. Während jeder Parabel herrscht für etwa 22 Sekunden Schwerelosigkeit. Insgesamt stehen bei einer Flugkampagne etwa 35 Minuten Schwerelosigkeit – im Wechsel mit normaler und nahezu doppelter Erdbeschleunigung – zur Verfügung, die Forschende für ihre Experimente nutzen können. Bis zu 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können an einem Flug teilnehmen, bei dem sich zwischen zehn und 13 Experimenten an Bord befinden.

Quelle: https://www.dlr.de/de/aktuelles/nachrichten/2023/02/jubilaeum-im-steilflug