24.11.2021 - Allgemein, Raumfahrt

Solar Orbiter kehrt vor Beginn ihrer wissenschaftlichen Hauptmission zur Erde zurück

Die Solar Orbiter kehrt für einen Vorbeiflug zur Erde zurück, bevor sie ihre wissenschaftliche Hauptmission zur Erforschung der Sonne und ihrer Verbindung mit dem „Weltraumwetter“ beginnt. Während des Vorbeiflugs muss die Solar Orbiter das Meer aus Weltraummüll durchqueren, die unseren Planeten umgeben, was dieses Manöver zum bisher riskantesten Vorbeiflug im Rahmen einer wissenschaftlichen Mission macht.


Bild: ESA

Der Vorbeiflug der Solar Orbiter an der Erde findet am 27. November statt. Um 04:30 Uhr GMT (05:30 Uhr MEZ) an diesem Tag wird sich die Sonde der Erde in nur 460 km Höhe über Nordafrika und den Kanarischen Inseln am nächsten annähern. Das ist fast so nah wie die Umlaufbahn der Internationalen Raumstation.

Das Manöver ist wichtig, um den Schub der Sonde zu verringern und sie auf den nächsten nahen Vorbeiflug an der Sonne auszurichten, es birgt aber auch ein Risiko. Das Raumschiff muss zwei Orbitalregionen durchqueren, die beide voller Weltraummüll sind.

Der erste ist der geostationäre Satellitenring in 36 000 km Höhe, der zweite die niedrigen Erdumlaufbahnen in etwa 400 km Höhe. Daher besteht ein geringes Risiko eines Zusammenstoßes. Das Betriebsteam der Solar Orbiter beobachtet die Situation sehr genau und wird die Flugbahn der Sonde ändern, sobald sie in Gefahr zu sein scheint.

Gelegenheit für die Erdwissenschaften

Der Vorbeiflug bietet eine einzigartige Gelegenheit, das Magnetfeld der Erde zu untersuchen. Dies ist ein Thema von großem Interesse, denn das Magnetfeld ist die Schnittstelle unserer Atmosphäre mit dem Sonnenwind, dem ständigen „Wind“ aus Teilchen, die von der Sonne ausgestoßen werden. Die Teilchen des Sonnenwindes können nicht nur in das Magnetfeld eindringen und Polarlichter an unserem Himmel entfachen, es können auch umgekehrt Atome aus unserer Atmosphäre ins Weltall entweichen.

Diese Wechselwirkungen werden auf detaillierte Art und Weise im Rahmen von zwei ESA-Missionen untersucht: Die vier Cluster-Satelliten in 60 000 km Höhe und die drei Swarm-Raumsonden in 400 km Höhe. Um die so genannte Raum-Zeit-Mehrdeutigkeit zu überwinden, sind mehrere Raumsonden erforderlich. Der Begriff bescheibt die Ungewissheit, ob eine Veränderung stattgefunden hat, weil ein Raumfahrzeug in eine andere Region mit anderen Bedingungen geflogen ist (eine Veränderung im Raum) oder durch eine Region fliegt, in der sich die Bedingungen ändern (eine Veränderung in der Zeit).

Der Vorbeiflug der Solar Orbiter bietet eine einzigartige Gelegenheit, noch mehr Daten zu sammeln. Sie wird von außerhalb der Clusters-Umlaufbahn in das Erdmagnetfeld eindringen, sich der Swarm-Umlaufbahn am nächsten annähern und dann wieder hinausfliegen. Dies wird noch mehr Datenpunkte liefern, aus denen der Zustand und das Verhalten des Erdmagnetfelds während des Vorbeiflugs rekonstruiert werden können.

„Dieser Vorbeiflug ist aufregend: zu sehen, was die Solar Orbiter in unserem Teil des Weltraums sieht, und wie sich das mit dem vergleicht, was wir sehen, und wenn es Überraschungen gibt, welche das sind“, sagt Anja Strømme, Missionsmanagerin von Swarm.


Flugphase abgeschlossen

Der Vorbeiflug stellt einen wichtigen Meilenstein für die Solar Orbiter dar. Von ihrem Start im Februar 2020 bis Juli desselben Jahres befand sich die Sonde in der Inbetriebnahmephase, in der die Wissenschaftler und Ingenieure die Sonde und ihre Instrumente testeten. Von Juli 2020 bis heute befindet sich die Solar Orbiter in der Flugphase. In dieser Zeit haben die Instrumente an Bord Messungen des Sonnenwinds und anderer Bedingungen in der Umgebung der Sonde vorgenommen, während die Fernerkundungsinstrumente, die die Sonne beobachten sollen, in ihrem erweiterten Kalibrierungs- und Charakterisierungsmodus waren.

Obwohl sich die Solar Orbiter noch nicht im vollen wissenschaftlichen Modus befindet, wurden bereits zahlreiche wissenschaftliche Ergebnisse erzielt.

„Wissenschaftlich gesehen hat dies unsere Erwartungen bei weitem übertroffen“, sagt Daniel Müller, Projektwissenschaftler von Solar Orbiter. Er erklärt, dass die Solar Orbiter durch eine Aufrüstung des ESA-Bodenstationsnetzes mehr Daten als erwartet zur Erde senden konnte und die Wissenschaftler der Mission dies schnell ausgenutzt haben. Mehr als fünfzig Artikel, in denen die wissenschaftlichen Ergebnisse der Reisephase der Solar Orbiter detailliert beschrieben werden, sollen im Dezember in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlicht werden.

Näher an der Sonne

Nun ist es jedoch an der Zeit, die beiden Instrumentensätze gemeinsam zu betreiben, da die Mission in die wissenschaftliche Hauptphase übergeht, und die Vorfreude ist spürbar. Im März wird die Solar Orbiter ihren zweiten nahen Vorbeiflug an der Sonne, das sogenannte Perihel, absolvieren. Das erste Perihel fand im Juni 2020 statt, als sich die Sonde bis auf 77 Millionen Kilometer annäherte. Dieses Mal wird sich die Solar Orbiter bis auf 50 Millionen Kilometer annähern, was die wissenschaftlichen Möglichkeiten deutlich erhöht.

„Das ist nur ein Drittel der Entfernung zwischen der Sonne und der Erde. Im Vergleich zu all den interessanten hochauflösenden Bildern, die wir bereits erhalten haben, wird also alles um etwa den Faktor zwei vergrößert sein”, sagt Daniel.

Dazu gehören auch neue Ansichten der rätselhaften „Lagerfeuer“, die die Solar Orbiter beim ersten Perihel gesehen hat. Die Lagerfeuer könnten Aufschluss darüber geben, warum die äußere Atmosphäre der Sonne eine Temperatur von Millionen von Grad hat, während die Oberfläche eine Temperatur von Tausenden von Grad hat - was scheinbar der Physik widerspricht, da Wärme nicht in der Lage sein sollte, von einem kälteren zu einem heißeren Objekt zu fließen.

Die Solar Orbiter fliegt zwar nicht so nah an die Sonne heran wie die Parker Solar-Probe der NASA, aber das erfolgt mit Absicht. So kann die Solar Orbiter nicht nur messen, was im Sonnenwind passiert, sondern auch Teleskope mitführen, die die Sonne betrachten können, ohne von der Hitze zerstört zu werden. Die beiden Datensätze können dann verglichen werden, um einen Zusammenhang zwischen den Aktivitäten auf der Sonnenoberfläche und dem Weltraumwetter um die Raumsonde herzustellen.

„Diese Verknüpfungsforschung ist das, was ich am spannendsten finde“, sagt Yannis Zouganelis, stellvertretender Projektwissenschaftler von Solar Orbiter.


Herausfordernde Beobachtung

Doch bevor dies geschieht, muss die Solar Orbiter seinen Vorbeiflug an der Erde beenden. Dies bietet Himmelsbeobachtern mit Adleraugen die Gelegenheit, der Sonde ein letztes Mal Lebewohl zu sagen, bevor sie sich für immer in die Tiefen des Weltraums begibt.

In den Momenten vor der größten Annäherung können Himmelsbeobachter auf den Kanaren und in Nordafrika einen kurzen Blick auf das durch den Himmel rasende Raumfahrzeug erhaschen. Sie wird sich mit etwa 0,3 Grad pro Sekunde bewegen, was etwas mehr als dem halben scheinbaren Durchmesser des Mondes pro Sekunde entspricht. Für die meisten Beobachter wird sie zu schwach sein, um sie mit bloßem Auge zu erkennen, und zu schnell für Teleskope, um sie zu verfolgen. Daher sollte ein Fernglas die beste Chance bieten, einen Blick auf sie zu erhaschen.

Wenn die Solar Orbiter wieder aus dem Erdschatten heraustritt, ist sie auf dem Weg zu ihrem Rendezvous mit der Sonne und den noch nie zuvor gesehenen Polarregionen der Sonne. Die wissenschaftliche Phase dieser ehrgeizigen Mission wird dann beginnen.

Quelle: https://www.esa.int/Space_in_Member_States/Germany/Solar_Orbiter_kehrt_vor_Beginn_ihrer_wissenschaftlichen_Hauptmission_zur_Erde_zurueck